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ESG: Die richtigen Prioritäten setzen

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28. Aug 2020

ESG ist eines der wichtigsten Zukunftsthemen der Immobilienbranche. Aktuell befinden sich verschiedene Verordnungen in Vorbereitung. Der Prozess und die einzelnen Vorgaben sind sehr komplex und schwer zu überblicken. The Property Post sprach mit zwei Experten: Dr. Magdalena Kuper ist Direktorin der Abteilung Recht beim Fondsverband BVI und Michael Schneider ist Geschäftsführer der Service-KVG INTREAL.

Frau Dr. Kuper, könnten Sie kurz einordnen, wo wir im komplexen Prozess der ESG-Implementierung aktuell – im Sommer 2020 – stehen?

Dr. Magdalena Kuper: Die beiden Ausgangspunkte waren das Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 sowie die SDGs (Sustainable Development Goals) der Vereinten Nationen, die ebenfalls 2015 verabschiedet wurden. Darauf aufbauend hat die Europäische Union den Aktionsplan zur Förderung des nachhaltigen Wachstums 2018 beschlossen. Dieser Aktionsplan umfasst zehn Einzelmaßnahmen, die derzeit vom europäischen Gesetzgeber in Gesetzesform gebracht werden.

Aktuell gibt es bereits einige Zwischenergebnisse dieses Prozesses. Wirklich in Kraft getreten ist bisher jedoch nur die Benchmark-Verordnung, die Standards für nachhaltige Benchmarks festlegt. Die erste Maßnahme, die unmittelbar Fonds betrifft, ist die so genannte Offenlegungsverordnung. Sie wird am 10. März 2021 in Kraft treten und bildet einen ersten Baustein eines ganzen Bündels von Verordnungen. Weitere Bausteine sind die Taxonomie-Verordnung und die Änderungen der Vertriebsvorgaben. Anfang 2021 werden die Steine wirklich ins Rollen geraten und mehrere neue regulatorische Vorgaben in Kraft treten. Außerdem hat es aktuell den Anschein, als ob der Gesetzgeber noch weiter gehen will.

Über die ohnehin schon hoch gesteckten Ziele hinaus? Können Sie das ausführen?

Dr. Magdalena Kuper: Das Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz steht so weit oben auf der politischen Agenda, dass davon auszugehen ist, dass der Aktionsplan erst den Beginn markiert. Es scheint aktuell so, dass die Kommission zweifelt, ob die bisher beschlossenen Maßnahmen ausreichen. Dazu muss man berücksichtigen, dass in der Zwischenzeit die Umweltziele weiter verschärft wurden. Hier sei das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 genannt, das gesetzlich verankert werden soll, und die CO2-Reduktionsziele, die bis 2030 verschärft werden sollen. Demzufolge soll der CO2-Ausstoß in der nächsten Dekade nicht mehr um 40, sondern um mindestens 50 Prozent reduziert werden. Kurz gesagt: Der Aktionsplan und die nun angestoßenen Maßnahmen stehen eher für den Beginn einer längeren Entwicklung als für einen einmaligen regulatorischen Vorgang.

Herr Schneider, Die Integration des Themas ESG in Immobilienfonds ist sicherlich nicht ganz trivial. Wo gibt es hier Knackpunkte?

Michael Schneider: Eine Herausforderung ist, dass viele Vorgaben für Finanzprodukte in einem ganz allgemeinen Sinne formuliert wurden. Sie gelten beispielsweise für Versicherungsprodukte, Wertpapierfonds, Rentenfonds etc. Die Übertragung dieser vagen Regeln auf Immobilien ist nicht trivial, da sie auf die Immobilie „heruntergebrochen“ und konkretisiert werden müssen. Und Immobilien haben nun einmal grundlegend andere Charakteristika als Aktien oder Anleihen.

Die zweite Herausforderung geht in eine ähnliche Richtung: Bei Immobilienfonds müssen wir noch ein gemeinsames Verständnis dafür entwickeln, was einen nachhaltigen Immobilienfonds ausmacht. Hier gibt es viele unterschiedliche Ansätze. Wichtig ist, dass nicht jedes Haus für sich eine Definition entwickelt, sondern dass es einen Branchenstandard gibt. Daher ist auch unsere Erwartung an den BVI, dass der Verband dazu beiträgt, einen für alle gültigen Standard zu entwickeln.

Frau Dr. Kuper, was verhindert aktuell einen Standard für die Branche?

Dr. Magdalena Kuper: Die Schwierigkeit ist, dass die regulatorischen Vorgaben sehr umfassend und gleichzeitig wenig koordiniert sind. Dazu ein Beispiel. Die Offenlegungspflichten beginnen im März 2021. Ab diesem Tag müssen Angaben zur Nachhaltigkeit eines Fonds in den vorvertraglichen Informationen oder in den Jahresberichten transparent gemacht werden. Aber die genauen Vorgaben dafür, welche Informationen konkret offenzulegen sind und was zum Beleg der Nachhaltigkeit gefordert wird, befinden sich noch in Diskussion und, werden in der Gestalt von Level 2-Maßnahmen wahrscheinlich erst später in Kraft treten. Außerdem sollen sie noch durch die Berichtspflichten zur Taxonomie ergänzt werden, die am 1. Januar 2022 wirksam wird. Kurz gesagt: es gibt keinen konsistenten Plan für den gesamten Prozess. Dies ist insgesamt sehr unbefriedigend. Die Branche muss sich hier selbst Brücken bauen und sich mit pragmatischen Lösungen behelfen. 

Herr Schneider, wie bereitet sich die INTREAL auf das Thema vor?

Wir haben ein eigenes Team für das Thema ESG aufgesetzt, das die Implementierung in den kommenden Jahren steuert. Meines Erachtens ist es aktuell sehr wichtig, die richtigen Prioritäten zu setzen und nicht in Aktionismus zu verfallen. Es muss nicht alles sofort und überall umgesetzt werden. Wir prüfen deshalb auch, was sofort erfolgen soll und kann und welche Maßnahmen in zwei bis drei Jahren sinnvoll sind. Das ist der Spagat, den wir machen müssen. Fest steht, es gibt bestimmte fixe Termine, zu denen wir bestimmte Mindestanforderungen liefern müssen – beispielsweise im Rahmen der Offenlegungsverordnung am 10. März 2021. Darauf bereiten wir uns vor. Neben den zukünftigen produktbezogenen Aspekten arbeiten wir auch an den relevanten unternehmensbezogenen Themen wie der Anpassung der ESG-konformen Ablauf- und Organisationsprozesse. Dazu gehören viele Einzelmaßnahmen bis hin zur Nutzung von Ökostrom für unser Rechenzentrum und alle unsere Bürostandorte – was wir z.B. schon umgesetzt haben.

Vielen Dank für das Gespräch!

Gastbeitrag zum Download: PDF